- Wolf-Ingo Härtl
"Wie lange schreibst du an so einem Roman?" - Teil 2
Nach der Recherche ist vor dem Schreiben ist während der Recherche und ist immer mittendrin im Plotten.
Ich gehöre nicht zu den Schriftstellern, die ihre Geschichte detailliert bis zum letzten Komma skizziert vor sich liegen haben und dann erst mit dem Schreiben beginnen. Meine Romane bauen auf einer Grundidee auf, die die ersten Recherchen zur Folge hat. Daraus entstehen neue Ideen, weiterführende Handlungsstränge für Hauptfiguren, Nebenfiguren, historisch verbürgte Figuren. All das formt sich dann zu einem schon größeren Gesamtbild. Und spätestens jetzt beginnt das häufig erwähnte Eigenleben der Figuren. Klar, ich bin es, der sie lieben, leiden, lachen lässt, aber die Figuren entwickeln sich sowohl mit ihren Handlungen als auch über ihren Charakter. Und schon beeinflussen sie durchaus auch mein Schreiben. Denn jede Figur sollte in sich schlüssig sein und bis zum Schluss bleiben. Charakterliche 180-Grad-Wendungen sind nicht glaubwürdig, es sei denn, sie werden in der Geschichte behutsam vorbereitet. Dafür wird die Recherche auch benötigt, denn die Welt, in der meine Figuren sich behaupten müssen, muss es zulassen, dass sich die Charaktere glaubwürdig entwickeln können. Wie im richtigen Leben eben auch. Kennt vermutlich jeder an sich selbst. Eine andere Zeit, ein anderes Lebensalter, aber die Grundstruktur, die DNA der Figur, die muss schon vorher sitzen.
Wie gelingt mir das als Schreiberling?
Ich betrachte meine Figuren nicht als Pappkameraden, die ich nach Lust und Laune hin- und herschieben kann. Nein, jede und jeder erhält seine eigene Legende, auch die kleinste Nebenfigur. In "Die Geliebte des Räubers" wird auf diese Weise auch der Gastwirt lebendig, auch die Frau des Scherenschleifers, auch der Mönch-ohne-Heimat (der sich diesen Namen ja nicht ohne Grund gab). Ob es sich um die Heldin Lisbeth und ihren Liebsten Johann handelt oder um den Kerkermeister in Coblenz - sie alle haben ihren Hintergrund und machen aus meiner Geschichte am Ende ein lebendiges Kopf-Kino.