- Wolf-Ingo Härtl
"Wie lange schreibst du an so einem Roman?" - Teil 3 - Fertig ist nicht gleich fertig
Fertig ist nicht gleich fertig. Wenn man erst einmal das Wort ENDE auf die letzte Seite seines Manuskripts
gesetzt hat, fühlt man sich ziemlich gut. Manch einer begeht dann ein lieb gewonnenes Ritual, um sich selbst zu vergegenwärtigen, dass die Schreibphase für diesen Roman abgeschlossen ist. Für den einen ist das vielleicht die erste Zigarette nach monatelanger Pause, für den anderen endlich die bereitstehende Whiskyflasche öffnen und sich ein Glas des goldgelb seine Linien am Glas entlangziehenden Rachenputzers gönnen. Andere suchen im Schrank die Tafel Schokolade, auf der das Wort ENDE steht (müssen aber feststellen, dass diese Tafel zur Hälfte schon gegessen ist), und manch einer schaut erst einmal nach, ob die Familie noch vollzählig im Haus ist, immerhin war man ja über einen längeren Zeitraum in seiner eigenen Welt abgetaucht.
Und dann fällt einem ein, hey, so ganz fertig bin ich ja noch gar nicht. Jetzt geht die andere Arbeit am Text los. Korrektur lesen, Schreibfehler ausmerzen, auf Logikfehler überprüfen, die Zeitschiene kontrollieren, in meinem Fall des Romans "Die Geliebte des Räubers" auch nochmal einige historische Daten überprüfen. Dieser Teil des Schreibprozesses ist genauso wichtig wie der kreative selbst. Schließlich schreibt man ja keinen Einkaufszettel, bei dem es egal ist, was oben oder unten steht. Ich zum Beispiel überprüfe auch einzelne Sätze auf ihre Wirkung hin. Passen sie an genau diese Stelle? Sollte ich sie besser dem Absatz voranstellen oder lieber ganz weglassen? Stimmt die Spannungskruve, wenn ich die Kapitel in dieser Reihenfolge belasse? Das sind alles Dinge, die erst richtig zu erkennen sind, wenn ich meinen eigenen Roman von vorn bis hinten am Stück lese.
Dann geht das Manuskript zum Verlag und von dort zur Lektorin, die den kompletten Roman gewissenhaft liest und mit Anmerkungen versieht. Und wie es dann weitergeht erzähle ich in Teil 4.