
- Wolf-Ingo Härtl
Vom Schreiben fiktiver Figuren im historischen Umfeld
Manchmal möchte ich mich bei meinen Figuren dafür entschuldigen, dass ich sie auf einen steinigen Weg durch ihr (fiktives) Leben schicke. In den Momenten, in denen ich sie leiden lasse, hilft es ihnen nicht, wenn ich im Hinterkopf schon eine besonders schöne Szene für sie bereit habe. Zumindest in meinen historischen Romanen kann ich meinen Figuren etwas schenken, was den meisten ihrer Zeitgenossen verwehrt bleibt, nämlich
realen Personen zu begegnen. In „Die Tochter des Roten Hauses“ kommt meine Heldin Anne mit so einigen in Kontakt. Anne lernt unter anderem auch Sophie von La Roche kennen. Obwohl den meisten Menschen heute wenig bekannt, kommt Sophie von La Roche eine wichtige Rolle in der deutschen Dichtkunst zu. Nicht nur, dass sie die erste Schriftstellerin war, die vom Schreiben ihr Auskommen erzielen konnte, sie erzielte mit ihrem Briefroman „Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim“ einen beachtlichen Erfolg und erlangte dadurch auch große Anerkennung bei den männlichen Dichterkollegen, selbst bei Goethe, der ihr sehr zugetan war.
Ich fand es nun sehr spannend, in meinem Roman meine Figur Anne, die aus einfachen Verhältnissen stammt und sich ihr Leben lang hart durchkämpfen muss, auf eine Frau wie Sophie von La Roche treffen zu lassen. Beide Charaktere wirken nur auf den ersten Blick unterschiedlich. In der Geschichte kristallisiert sich mehr und mehr heraus, wie ähnlich diese starken Frauen sind, um jeweils in ihrer Welt überleben zu können.